Mittwoch, 30. Juni 2010

Schwarzes Meer und Ankara

Wir verlassen das Getümmel von Istanbul und das einzige Foto, dass wir bei unserer zweiten Bosporusüberquerung hinbekommen haben ist dieses:
Eigentlich ein gutes Gefühl, die Stadt zu verlassen, hätten wir doch noch Tage, wenn nicht Wochen zwischen Leyla Teras und den Fischverkäufern vom Hafen verbringen können...
So geht es weiter vorwärts, ein Stückchen näher unserem Ziel. Da ND noch gerne das Schwarze Meer sehen möchte ["Du warst noch niemals einmal am (schwarzen) Meer"], suchen wir und an irgendeiner Strandpromenade zwischen Istanbul und Ankara ein nettes Plätzchen zum Schlafen.
Weiter geht`s am nächsten Morgen nach Ankara wo uns gleich ein kräftiger Regenschauer erwischt. Dennoch sehen wir genug um zu merken, dass die Stadt nicht wirklich ein Knüller ist... Dafür aber schön Chai mit einem Tankwart aus Muş und einem Krankenpfleger aus Ankara trinken, über unsere lange Reise quatschen und auch gut essen (Tavuk Iskenderun - Wo wir ja auch noch hinwollen...)
Apropos hinwollen... Bei den -istan-Ländern ergibt sich die unerwartete Möglichkeit gleich das Erste abzuhaken...
Wir belassen es bei einem Foto und freuen uns auf das was kommen mag.

Unsere Route, bis jetzt... #1

Berlin - Istanbul

Dienstag, 29. Juni 2010

Von wahren und falschen Freunden #3

In besagter Leyla Teras finden wir an Gästen nur einen einzigen Mann in der Ecke sitzend und Fisch essend vor. Es mögen unsere bemitleidenswerten Gestalten gewesen sein, die ihn uns zum Mitessen einladen ließen. Ich zögerte und blieb lieber an unserem Tisch sitzen, während sich Marco Polo zu ihm setzte und mit von dem gebratenen Fisch mit Minze, Zwiebel und Pepperoni aß. Am Ende kommen die beiden über die obligatorische Zigarette ins Gespräch. Wobei: 'Gespräch' ist übertrieben, denn der Gast kann keine Sprache, die auch wir beherrschen. Mit Händen und Füßen - manchmal unter Zuhilfenahme anwesender Gäste und der Betreiber des Lokals - ergibt sich jedoch bald ein reger Austausch, dem ich mich nicht entziehen kann, setze mich dazu und bestelle noch einmal Fisch.
Es handelt sich um Sonar - einem bekennenden Anarchisten und offensichtlichen Stammgast der Leyla Teras. Er ist Kurde und stammt aus einem Dorf beim Van-See. Marco Polo erzählt von unserem Reisevorhaben (wie er es sich schnell angewohnt hat, bei jedem neuen Menschen zu tun, den wir kennenlernen - was sich oft als guter Aufhänger für nähere Gespräche herausstellt). Sonar fragt, wo wir denn übernachteten. Beim Worte "Caravan" zieht er die Augenbrauen hoch und lädt uns kurzerhand zu sich nach Hause ein. Also brechen wir auf, wobei seine körperliche Beeinträchtigung deutlich wird, wegen derer wir statt zu laufen die U-Bahn nehmen.
Mit Sonar im Bus fahren wir zu ihm nach Hause raus aus der Altstadt. Auf dem Weg kauft er noch ein paar Biere ein ('Efes' mit zusätzlichem Kaffee-Geschmack - ein absoluter Knüller!) und wir parken vor seiner Tür bei einem Neigungswinkel der Straße von subjektiven 45 Grad.

Er zeigt uns seine großzügige Maisonette-Wohnung mit Balkon und Blick auf einen Arm des Mittelmeeres. Mit Hilfe unseres Wörterbuches dehnen wir nun das Gespräch auf die Themenkomplexe türkische Geschichte, türkische Politik, Kurden, und einige weitere aus. Er zeigt uns die Ergebnisse seiner Arbeit als Grafik- und Animationsdesigner und teilt mit uns private Angelegenheiten. Viele Zigaretten werden geraucht und noch bevor ich mit dem Bierkonsum gleichziehen kann, werde ich müde. Wir legen uns schlafen. Marco Polo und ich freuen uns sehr über diesen Glücksfall, bleiben aber gleichzeitig gespannt, ob sich dieses Verhältnis ebenso umkehren würde, wie jenes zu dem alten Mann vom Vortag...
 
Am nächsten Morgen wartet Sonar mit einem großzügigen Frühstück auf. Es gibt Tee, Feta, Tomate, Gurke, Oliven und obendrein Omelette mit Suçuk. Nach Tagen der Entbehrung schliefen wir kühl, konnten uns duschen und ein üppiges Frühstück verspeisen. Da platzen in die Idylle einige Anrufe herein.


Mit den Worten 'girlfriend', 'hospital' und 'crisis' bittet uns Sonar, ihn wohin zu fahren. Ununterbrochen telefonierend, weit nach vorne lehnend gibt Sonar Anweisungen an Marco Polo, wie dieser fahren solle. Mehrmals scheint sich die Situation zu ändern und somit auch das Fahrziel. Es fängt an zu regnen und ich döse ein. Als ich aufwache, weckt mich Marco Polo mit den Worten: 'Willkommen in Asien!'. Unverhofft hatte Sonar uns über die Brücke geleitet, die auf die asiatische Seite Istanbuls führt. Nun stehen er und MP in Verhandlungen, die Autobahngebühren zurückerstattet zu bekommen. Es wird deutlich, dass unser neuer Freund etwas kurzsichtig ist und den Weg selbst nicht genau zu kennen scheint.

Nachdem die Odyssee bereits ihre Zeit in Anspruch genommen hat, bricht Sonar das Unterfangen unter Rücksicht auf unser Tagesprogramm ab. MP und ich wollen nachholen, was uns gestern verwehrt geblieben war. Nach einem kleinen Zwischenstopp im Leyla Teras (wo sich die beiden Betreiber gerade ihr Frühstück bereiten) verabreden wir uns mit Sonar, uns dort am Abend wieder zu treffen.
Der Besuch der Hagia Sofia ist beeindruckend. Der riesige Kuppelbau mit seinen hohen Türen und dem alten, dicken Mauerwerk lässt sehr bildhaft erahnen, wie die Atmosphäre im antiken Byzanz gewesen sein muss. Auch die Blaue Moschee hinterlässt bei uns einen bleibenden Eindruck. (Sehr zu meinem Bedauern ist das Museum, auf das ich mich schon sehr gefreut hatte, bei unserer Ankunft schon geschlossen.) Ich denke aber, dass ich für MP und mich schreibe, wenn ich meine, dass die sozialen Begegnungen in dieser Stadt und die Eindrücke beim Laufen durch ihre Gassen einen wesentlich stärkeren Eindruck bei uns hinterlassen haben, als diese beiden hervorragenden Bauten.
So freuen wir uns, zu unserem Abschied noch einmal die warme und freundliche Atmosphäre der Leyla Teras zu spüren. Dort sind inzwischen Sonars Freunde angekommen und es gibt - natürlich - Fisch. Wir unterhalten uns mit den Besitzern, die uns weitere Reisetipps und Telefonnummern von Freunden zuschieben, die auf unserer Strecke liegen - genauso wie Sonar, der uns ebenfalls an zwei Freunde empfiehlt. Wir tauschen Nummern und Adressen aus und verabschieden uns herzlich. (Da machen die leicht überhöhten Preise der Kneipe auch nichts mehr aus.)
In dem guten Gefühl, auf freundliche Menschen getroffen zu sein, die sich als wahre Freunde und nicht als ausnutzende Heuchler herausstellten, denen wir gerne mit dem Umherfahren geholfen haben - obwohl wir dadurch viel Zeit verloren -, ergreife ich das Steuer und fahre uns aus der Stadt heraus. Wir kommen zum Ziel-Kontinenten unserer Reise, die somit nun erst ihren tatsächlichen Anfang zu nehmen scheint.

Montag, 28. Juni 2010

Zu Fuss und cool durch Istanbul

Am nächsten Tag taucht unser neuer Freund nicht auf und wir wechseln auf einen anderen Parkplatz (denn unserer war über Nacht wieder zu einem ‚Oto Park‘ geworden, für dessen Benutzung man einem privaten Wachmann Geld nach Vereinbarung zahlen muss.) Diesmal nehmen wir die Straßenbahn, um einen Überblick über die Innenstadt zu bekommen und gleichzeitig der Hitze zu einfliehen.
Vorbei an Touristengetümmel rund um Hagia Sofia, Blauer Moshee und Bazaar, weiter bis hinter die beeindruckende alte Stadtmauer fahren wir zur Endstation. Wir erleben nur eınen winzigen Ausschnitt der 10-Millionen-Metropole, deren Ausmasse uns bei der Anreise bereits erstaunen lies.
Auf dem Rückweg steigen wir bei der Hagia Sofia aus. Die Touristengruppen nach Möglichkeit vermeidend (sehr schwierig!) finden wir heraus, dass sie montags geschlossen ist - ebenso das Museum für türkische und islamische Kultur.

Am Fuße der Blauen Moschee nutzen wir die sanitären Anlagen zur Erfrischung. Wir sehen kleinere Gruppen von Muslimen aus der ganzen Welt hierher strömen. (Auch welche aus Tadschikistan!) Als wir das Gotteshaus betreten wollen, ruft der Muezzin zum Gebet und der Gebetsraum bleibt allen Ungläubigen verschlossen.

Unverrichteter Dinge entschließen wir uns, durch die kleinen Gassen zurück Richtung Auto zu laufen. Wir entdecken ein riesiges Kitsch-Kaufhaus und laufen durch endlose Bazaar-Strassen. Ich nutze die Gelegenheit zum Kauf einer Reisetasche, die mir bisher fehlte - um endlich die katastrophale Ordnungslage in unserem Bus in den Griff zu kriegen.
Hügel rauf - Hügel runter. In einer Moschee auf einer Hügelspitze erhoffen wir uns, vom Minaret einen Ausblick über die Stadt zu erlangen. Doch wird sie mit Mitteln aus dem Topf für die 'Europaeische Kulturhauptstadt 2010' saniert. Alternativ streben wir nun einen alten Turm an, der von weitem über der Altstadt ragend zu sehen ist. An seinem Fuße liegt das Fischer-Viertel, wo sämtlicher Fischereibedarf zum Verkauf angeboten wird - einschließlich Elektromotoren aller Größen.
Vom Turm haben wir eine wunderbare Aussicht (die besonders Marco Polo gut zu tun scheint), wenngleich eine Begrenzung der Besucherzahl dem Erlebnis zuträglich gewesen wäre. So aber treten sich schwule Briten, junge türkische Pärchen, deutsche Backpacker, japanische Individualtouristen, Marco Polo und ich uns gegenseitig auf die Füße.


Erschöpft vom vielen Laufen und den zahlreichen Eindrücken machen wir uns auf die Suche nach etwas zum essen.

Als wir auf dem uns von letzter Nacht vertrauten Tarlabasi Bulvari ankommen und Ausschau halten, fällt Marco Polo ein Tipp ein, den er von einem Freund bekommen hatte und holt die Wegbeschreibung zu einem „Anarchistencafé“ heraus:

"The place is called 'Leyla Teras'. On Taksim St when coming from Taksim Sq there is a clothes shop called 'Miss Poem'. Take that turn and on that way on right hand side there you are."

Die entsprechende Straße war leicht zu finden. Nicht aber das Lokal. Zum Glück wissen wir ja aber den Namen der Kneipe - also flux bei einem Kellner der zahlreichen Etablissements in dieser Straße nachgefragt und wir bekommen den richtigen Aufgang gezeigt. (Es handelt sich circa um das dritte Haus in der Straße.)

Die dunkle, schmale Treppe hinter dem unscheinbaren Hauseingang führt vorbei an einer Heavy Metal Kneipe und zwei aus druckslosen Türen - hin zu einer noch unscheinbareren Tür im vierten Stock mit einem kleinen Aufkleber darauf: 'Leyla Teras'. Dahinter verbirgt sich ein intimes Lokal mit Terrasse, die einer Oase im ganzen Trubel der Stadt gleichkommt. Allen künftigen Besuchern Istanbuls wollen wir an dieser Stelle einen Besuch der 'Leyla Teras' ans Herz legen und uns an dieser Stelle herzlich bei Christoph für diesen Tıpp bedanken.

Sonntag, 27. Juni 2010

Von wahren und falschen Freunden #2

Etwas niedergeschlagen und von unserer eigenen Naivität erstaunt stehen wir vom Abendessen auf und schlendern durch die Innenstadt. Sofort werden wir von eın paar musizierenden und revoltierenden Jugendlichen aufgemuntert und stürzen uns wieder ins Getümmel.
Dort im Getümmel fınden wir auch die Demonstranten von vorhin und uns selbst mitten in einem "botellòn" wieder... 
Es wird ordentlich getrunken, die Musik so laut gedreht wie geht, zusammen geredet und als dann auch noch eine "Demo"-Samba Gruppe dahergetanzt kam, war es endgültig um meine Gesprächspartnerin geschehen. Duygun zieht mich ins Getümmel zum Tanzen... Das ihr gerade das Portememonaie geklaut wurde, scheint sie nicht weiter zu stören...
Als wir aufbrechen wollen und sie hört, dass wir im Auto schlafen, bietet sie uns sofort an bei Ihr zu schlafen.
Wir lehnen dankend ab und schlendern zu unserem arrangierten Nachtplatz (einfach am Rande einer Hauptverkehrsstraße unter Überwachung durch einen Wachmann eines örtlichen Bürohauses) und treffen auf dem Weg viele Metal-Fans. Es findet anscheındend gerade ein dreitägiges Festival im Sportstadion statt.

Von wahren und falschen Freunden #1

Nach nicht enden wollendem Umherirren in Istanbul: auf der Suche nach einer Touristeninformation, um endlich einen guten Tip für ein Hostel oder einen Campingplatz oder was auch immer zu bekommen, wo wir ausnahmsweise mal duschen können, kommen wir das erste Mal mit Türkischer Demonstrationskultur in Berührung. Ein Meer aus türkischen Fahnen bewegt sich an uns vorbei. Wir tippen auf türkische Nationalisten und finden dann endlich auch ein Internetcafé. Schnell ein paar Campingplätze rausgesucht und zurück zum Taksim Square. Inzwischen hat sich die Demonstration der Türkischen Flaggen weiterbewegt und eine weitere Demonstration, diesmal aus Regenbogenflaggen und bunten Schildern drängt sich auf den Platz. Während ich mich noch frage, ob da die Istanbuler Schwulen- und Lesbenszene vor mir steht, ist ND schon mit einem alten zahnlosen Mann im Gespräch, der erklärt, worum es geht. Erst auf gebrochenem Englisch und dann, als sich herausstellt, dass wir aus Berlin kommen, in perfektem Deutsch...
Die „Türkische Nationalisten Demo“ stellt sich so in Wirklichkeit als Statement für die Freilassung von Journalisten und Schriftstellern in der Türkei heraus. Die Demonstration gegen die Diskriminierung von Homosexuellen hat gleichzeitig als Botschaft „Stop pinkwashing Israeli Crimes“ (in Bezug auf Gaza). Wie das zusammenpasst? Keine Ahnung! Sofort ergreifen wir die Chance auf Informationen und laden ihn auf einen Tee ein – er bevorzugt aber Bier („Efes“). Interessiert unterhalten wir uns mit ihm in einem seiner Stammlokale, wobei wir auch das Spiel Deutschland gegen England schauen. Aus dem Bier wird schnell noch ein Raki und während ND genüsslich an seiner Wasserpfeife zieht, entwickelt sich ein langes Gespräch. Mesud Özil, Hannover, Arminia Hannover, seine Tochter in Deutschland, Erasmus Studenten in Istanbul und seine Arbeit als Türkischlehrer, unsere lange Reise, Türkische Politik, das Rotlichtviertel von Istanbul, wo man Zigaretten kaufen kann, dass er den Militärdienst verweigerte und daher das Land nicht mehr verlassen dürfe,... Die ersten Witze werden gerissen und ein Spruch provoziert den nächsten. Er erzählt von verflossenen Träumen: „Mit dem VW-Bus über den Balkan, wollte ich mein Leben lang fahren... oder USA von Ost nach West.“
Danach zeigt er uns noch einen Platz, wo man schlafen kann und gibt uns den Tip, sich einfach in der Moschee zu waschen – was ich später auch noch wahrnehmen würde.

Am Abend essen wir noch zusammen und er scheint sich mit uns wohlzufühlen: „Jungs mir gefällt es mit Euch, habt ihr Lust mit mir Morgen die Stadt anzuschauen? Ich zeige Euch die wirklich spannenden Orte, nicht den Touristenquatsch. Aber natürlich nur wenn Ihr es mit so einem alten Knacker wie mir ertragen könnt.“ Wir sind begeistert. Was besseres hätte uns gar nicht passieren können. Wir fragen Ihn noch ein paarmal, ob es ihm auch wirklich keine Umstände macht. Aber er scheint gerade nicht wirklich arbeiten zu müssen. Wunderbar – noch ein Raki. Auf einmal erzählt er von seinen 40€ Miete, die er alle zwei Wochen zahlen muss... Ob wir ihm diese jetzt geben könnten – er sei schon lange im Verzug und würde sich nicht mehr zurück in sein Zimmer trauen... Sein Handy als Pfand und uns in den nächsten drei Tagen Istanbul zu zeigen als Gegenleistung. Das Geld bräuchte er aber sofort. Eigentlich nicht als Bezahlung, sondern mehr als Freundschaftsdienst... Die gute Stimmung ist verflogen. Er geht aufs Klo und lässt uns beraten. Vincent und ich schauen uns verdattert an. Völlig überrumpelt von der Wendung, die unser Verhältnis zu dem alten Mann nahm, besprechen wir uns und wägen ausgiebig ab. Schließlich machen wir ihm ein Angebot und verabreden uns für den nächsten Tag an unserem Bus. (Im Nachhinein betrachtet, hatten wir uns bereits ordentlich einlullen lassen...)

In welcher Stadt befınden wir uns hier?

Yup, es ist nicht Berlin. Auch nicht Barcelona und erst recht nicht Rio. Einfach weiterlesen!

Samstag, 26. Juni 2010

Grenzen - Man muss Prioritäten setzen

25./26.und 26./27. Juni 2010

Von allen Grenzübertitten bisher waren die innerhalb der EU denkbar unspektakulär. Man "zollte" uns wenig Beachtung. Auch die Einreise nach Serbien war kein Krimi. Locker den Pass durchblättert, eine Seite gefunden – ruhig direkt neben eines der vielen eingeklebten Visa – und locker-flockig aus dem Handgelenk einen Stempel reingepfeffert, der dann kaum lesbar war. Aber wozu auch?

Deutlich mehr Elan bei der Arbeit bewies der Zöllner an der Grenze rein nach Bulgarien. Zuvor hatte er gerade gnadenlos eine türkische Familie aus Hannover aufgefordert auszusteigen und den Kofferraum zu öffnen. Dabei ist doch jedem klar, dass die nicht zum Großeinkauf nach Serbien gefahren sind, um nun all ihre billig ersteigerten Waren auf dem europäischen Schwarzmarkt zu verhökern. Nein, es ging ihm ums Prinzip. Na, und nun ratet mal, was man zwei junge Männer in einem VW-Bus unterwegs – der Fahrer hatte obendrein lange Haare – unbedingt fragen muss... er beugte sich fast durchs Fenster in unser Auto rein, deutete auf die Zigarettenschachtel auf der Ablage und wir dachten schon an Schmiergeld... nach einer flüchtigen Inspektion der Schachtel lehnte er sich breit grinsend noch näher an mich ran und fragte: „What are you smoking...?“ um gleich darauf zu suggerieren: „...no marijuhana?“ insgeheim laut lachend versicherten wir ihm, dass dem selbstverständlich nicht so sei und freuten uns, sein Interesse damit befriedigt zu haben und weiterfahren zu können.
Während der Wächter Bulgariens um unsere Gesundheit besorgt war, setzte der Wächter der Türkei ganz andere Prioritäten. Sein Job schien es nicht zu sein, sein Land vor illegalen Einwanderern zu schützen, die Drogen- und Waffenschieberei zu unterbinden, dem Menschenhandel Einhalt zu gebieten oder sich einfach um die Gesundheit seiner Reisenden zu scheren. Nein, er war zu Höherem berufen und musste sein Land vor einem viel mächtigeren Feind verteidigen: der Geschichte.
Beim Blättern in unseren Pässen fielen ihm die vielen Visa auf. Darunter ein Stempel, den er nicht zuordnen konnte. Während wir ihm berichteten, wohin wir fahren wollen, betrachtete er ihn verdutzt, bis ihn eine schlimme Befürchtung uns fragen ließ: „You want to go to Armenia?“ wir erklärten ihm, es handle sich um den zweiten Teil des tadschikischen Visums und wurden durchgewunken. (ein Gruß an meine armenischen Freunde: gerne wäre ich auf dieser Reise zu Besuch vorbei gekommen, doch lässt sich das zeitlich leider nicht einrichten...) Als wir dann noch der Kontrollöse der Fahrzeugpapiere versicherten, dass der Bus keine 8, sondern nur 6 Sitze habe – wenngleich doch eindeutig an irgendeiner beliebigen Stelle auf dem Fahrzeugschein (nämlich dort, wo die Prüfziffer zur Fahrzeugidentifizierungsnummer vermerkt ist) eine „8“ aufgedruckt ist, durften wir nach langem Warten endlich in die Restbestände des osmanischen Reiches einreisen.

Sofia

Rumpel-pumpel wache ich auf. Marco Polo ist, wie immer schon vor mir auf den Beinen. Eine weitere Strassenbahn zieht an unserem Schlafplatz am Rande einer von Sofias Hauptstrassen vorbei. Das Gleisbett ist so schlecht, wie ich es aus Russland kenne - aber hier ist doch EU!? Da liegen die Steine lose zwischen den Gleisen und die Bahnen aus Sowjet-Zeiten sind nicht vom leiseren DDR-Modell, was die Dezıbel zusaetzlich in die Hoehe treibt.
Aber wir wollen auch von dieser Stadt einen kleinen Eindruck gewinnen und begeben uns weiter in das Zentrum. Vorbei an grauen Haeusern in diversen Sanierungs-, aber eher Verfallszustaenden und vorbei an den vielen Baeumen, die die Strassen dieser Stadt zu den grünsten machen, denen wir auf unserer Reise bisher begegnet sind.
Im Vergleich erscheint mir Brno bereits übersaniert und als Teil Westeuropas, Budapest als Metropole aktueller Kultur (die aber in den kommenden Jahren vergentrifiziertsein dürfte), Belgrad als eine Stadt an der Peripherie Europas, in der sich in den kommenden Jahren viel zum positiven veraendern wird und schliesslich Sofia als verschlafene Ostblock-Stadt, in der sich nicht viel tut. Zumindest empfanden wir das Strassenleben nicht als besonders offen und experimentierfreudig - Jugend, Musik und Kultur haben wir vergeblich gesucht. In der schoenen Haupteinkaufsstrasse freue ich mich, neben den vielen Beck's-Sonnenschirmen auch einige von Segafredo zu finden. Doch statt guten Esspressos gab es hier nur den beliebten Nescafe. Beim Schnack mit dem Besitzer berichtete er von der rasanten Bevoelkerungszuhnahme der Stadt. Mein Eindruck war also nicht vollkommen zutreffend gewesen.
Auf dem Rückweg zum Auto hole ich den Espresso in einem chicken, neuen Trend-Coffeeshop nach. Einem Starbucks-Imitat. Bleibt der Stadt und dem Land zu wünschen, dass die Transformation, die bereits die Gesichter von Brno und Budapest so sehr veraendert hat, die Invasion der Konzerne und Investoren dem Land die Luft lassen, um sein individuelles Gesicht staerker zu entwickeln. Es steht aber zu befürchten, dass hier die Entwicklung noch rasanter laufen wird als in Budapest, wo schon die negativen Folgen und Diskrepanzen (z.B. Überwachungskameras an verfallenden Haeusern) deutlich zu sehen sind.

Wir verlassen die Stadt. Vom Stadtring aus sehen wir, wie Sofia in einem Talkessel gelegen ist. Doch leider müssen wir unsere Aufmerksamkeit voll den Strassenverhaeltnissen widmen und genau beobachten, wie die LKWs vor uns den riesigen Schlaglöchern ausweichen (die in ihren Dimensionen bis Mardin in der Türkei nicht übertroffen werden sollten). Geschafft. Wir sind zurück auf der Transitroute gen Türkei.
Manchmal aehnelt die Strasse eher einer kleinen Landstrasse, die ihre internationale Bedeutung gekonnt zu verbergen weiss, indem sie einfach als Tempo-30-Zone durch kleine Dörfer führt. Waehrend sich die naechtliche Finsternis auf den langen Autotrek legt, verirren wir uns aufgrund der schlechten Ausschilderung - und mit uns wieder halb Niedersachsen - waehrend am Stassenrand bulgarischer Kaese verkauft wird.

Freitag, 25. Juni 2010

Noch mal über Serbien

***Bıtte verzeiht die Dopplung, aber ich hatte nicht gesehen, dass mir Marco Polo zuvor gekommen war...***

Unserer Tag begann mit einer Wette: ob wir von den Serben einen Stempel in unsere Pässe bekämen oder nicht. Der Stempel kam – ich verlor und muss MP auf einen Tee in Istanbul einladen. Danach kamen wir in ein Land, über das ich schon viel von meinem Vater gehört hatte. Zwar hat er viele einblicke in Jugoslawien bekommen, doch erschienen mir die Brocken, die ich aufgeschnappt hatte nur als Stereotype. Jedoch stellten sich einige davon wahrer heraus als gedacht. Von der Straße aus sahen wir alte Frauen mit Ostblock-Schürzen behangen die Felder pflegen. Kleine Dörfer kannten kaum befestigte Straßen. Eine Familie wartete in Trainingsanzügen auf den heimkehrenden Vater. Und vor allem: Felder, Felder, Felder. Es gab sogar einen Stand am Straßenrand, der Wassermelonen und hellgelbe, spitze Paprika verkaufte. Es war also doch wahr: es gibt den „Balkan“. Da kam in mir, nach unserem nicht gerade üppigen Frühstück, der Wunsch nach einem leckeren Fleischspieß zum Abendessen auf... dieser Wunsch wollte in Belgrad bedient werden.

Nachdem wir hässlichste platten-viertel passiert hatten, suchten wir im Botschaftviertel nach einem Parkplatz. Überall musste dafür bezahlt werden. Also erst einmal zur Bank: Geld abgehoben! Dann große scheine in kleine tauschen – nicht beim Parkpolizisten, der sich über seine neue Beute schon zu freuen schien, sondern im Restaurant. Dann nur noch einen funktionierenden Automaten gefunden. Nach vier Häuserblöcken suche, wurde uns offiziell attestiert: „Yes that's a problem.“ Zum Glück konnten wir bei diesem freundlichen Parkpolizisten ein Ticket lösen und uns dann aufmachen, die Stadt zu erkunden.
Was verbindet man mit Serbien? Nun, ich zunächst: starken Nationalismus, Krieg und Völkermord. Ohne einen Vergleich mit anderen Staaten Jugoslaweins zu haben, hatte ich das Gefühl, dass das Land etwas abgetrennt ist von Europa ist. Die Mode der Leute erschien weniger einfallsreich als in Budapest und kam eher dem typischen Ostblock-look nah, als aktuellen Trends. Die Stadt erwies sich nicht als besonders hübsch – oder gar 'weiss'. Und auch die Atmosphären, das Leben auf der Straße waren nicht so spannend, offen und einladend, wie in der ungarischen Metropole. Da erschienen die Konzert- und Festivalankündigungen völlig aus dem Rahmen zu fallen. (ich muss dazu schreiben, dass es gut möglich ist, dass MP und ich die eigentliche Altstadt völlig verfehlt haben, da wir mal wieder ohne Plan unterwegs waren.
Zurück am Auto fanden wir ein neues Knöllchen. Das setzte meinem grantig-sein ziemlich zu, denn seit einiger zeit waren wir auf der suche nach etwas zu essen und einem schnellen weg zurück zum Auto gewesen. Beides erfolglos. Erst in unserer Straße fanden wir endlich den ersehnten Balkan-Grill. Zwar mit ganz anderen Fleisch-Fladen, als erwartet (u.a. Mit Käse gefüllt) aber auch lecker.
Ich fuhr raus aus der Stadt - über tausend kleine Dörfer irrend und endlich weiter über den legendären Autoput nach Nis, wo wir in Richtung Bulgarien abbogen. Die ganze Zeit von der Karawane begleitet, die nicht Seide und Gewürze ins Abendland bringt, sondern Söhne und Töchter zurück ins Morgenland, um die Familie und das Dorf wiederzusehen. Da war ganz Europa – vor allem aber Niedersachsen – unterwegs...

Planlos in Belgrad & Grüße von Balkanien nach Balkonien

Ich wache immer etwas früher als der Noodledude (ND) auf. Wahrscheinlich liegt das daran, dass das Hochdach innerhalb kürzester Zeit unter direkter Sonneneinstrahlung zum absoluten Backofen wird und ich einfach auch keine Freude am morgendlichen Vollschwitzen -sicherlich auch wegen der begrenzten Duschmöglichkeiten der letzten Tage- habe. Also eben mal das Netbook augeklappt und schon mindestens fünf ungesicherte Drahtlosnetzwerke gefunden. Wunderbar, da bis jetzt an jedem Ort an dem wir anhalten solche Netzwerke vorhanden sind, wird das E-Mails abrufen zum Kinderspiel und wir müssen nicht, wie erwartet, alle paar Tage in ein Internetcafé. Inzwischen gehören die Drahtlosnetzwerke nicht mehr ungarischen Tankstellenbtreibern, sondern Sofiotern (so werden die Einwohner Sofijas laut Wikipedia wirklich genannt...) einer kleinen sofiotischen Seitenstaße.
Eigentlich wollten wir ja schon in Istanbul sein...nachdem ich aber heute morgen um halb fünf in die Stadt gefahren bin und der ND ziemlich müde war, blieb mir gar nichts anderes übrig, als nach einem schönen Plätzchen zum Schlafen in der bulgarischen Hauptstadt zu suchen...

Wir haben uns etwas in der Zeit verschätzt. Vor allem aber haben wir uns die ganze Zeit verirrt. Angefangen in der Hauptstadt Belgrad, wo wir uns stundenlang verlaufen haben (& der ND mir bei dieser Möglichkeit gleich ein paar kyrillische Buchstaben beigebracht hat =:-)), bis zur nächtlichen Suche nach dem Autoput in den (hügeligen!) Vorstädten von Belgrad. Mal gibt es Schilder, mal nicht. Mal gibt es Straße, mal mehr Schlaglöcher, mal ist die Straße markiert, mal nicht, Bahnübergänge haben mal Signale, mal nicht, Geschwindigkeitsbegrenzungen werden aufgestellt und nicht wieder weggenommen. Aber wie der ND sagt: „Das ist Balkan hier; jeder macht einfach was er will.“ Und so ist es dann auch, einfach nach Ermessen fahren. Unser Ermessen war meistens etwas knapp, vor allem was das Tanken anging, sodass wir an der Serbisch-Bulgarischen Grenze gehofft hatten nicht zu lange bei laufendem Motor warten zu müssen, damit wir nicht im Niemandsland zwischen den beiden Staaten liegenbleiben... 
Ansonsten hat uns Belgrad im Gegensatz zu Budapest nicht so richtig angesprochen. Vielleicht weil wir es einfach nicht richtig geschafft haben, das Zentrum der Stadt ausfindig zu machen. Es scheint aber ein paar nette Festivals zu geben („Exitfestival“) und auch interessante Konzerte, z.B. von „Soulfly“ oder „Massive Attack“. Ist mehr oder weniger alles im Juli. Also leider für uns außer Frage, aber vielleicht gibt es ja ein paar Blogleser die interessiert sind?
Ein bisschen merkwürdig übrigens auch das Gefühl in ein Land zu fahren, gegen das die Nato (also auch Deutschland) vor kurzem noch Krieg geführt hat... Ich glaube es handelt sich um das ehemalige Verteidigungsministerium. Warum man es nicht endgültig abgerissen hat? Mahnmal?
Zum Gedanken machen haben wir nicht wirklich lange Zeit, zumal uns der Hunger in den Imbiss von diesen netten Spezialisten für unsere Vorstellung von Balkanessen: Fleisch mit Zwiebeln, Paprika und Brot.
Soviel zu uns.
Jetzt noch viele Grüße von Balkanien nach Balkorfanien! Es können sich gerne viele angesprochen fühlen, aber ich wollte hauptsächlich den Gegenblog aus Berlin „tojenesmysl“ grüßen. Während wir hier unseren Lesern belangloses und für den Alltag nicht Nutzbares aus dem Balkan, Vorder- und Zentralasien bieten, lest ihr die wirklich wichtigen Dinge aus Berlin-Moabit (wann das Edeka-Zentrum endlich eröffnet, welche Kaffeemaschine inzwischen erste Wahl in der WG ist und ob der Abfluss der Badewanne endlich saubergemacht wurde) dort! Der Gegenentwurf zu unserem Sommer.

Zurück in Deutschland?

Nach dem berauschenden Abend in Budapest nachts schön auf den letzten Parkplatz in Ungarn 500m vor der Serbischen Grenze gestellt. Abend gegessen und mal nach dem Kühlwasser, welches uns schon seit Berlin Probleme bereitet (...), geschaut.
Morgens halb acht aufgewacht und gedacht uns hätte jemand 1000km zurück geschleppt; 
-mitten auf die Hermannstraße in Neukölln.-

Aufwachen tue ich von einem Gemisch deutscher, türkischer und arabischer Sprachfetzen und dem Geruch von Wasserpfeife mit Kirschtabak. Siehe da; der Parkplatz voll von Deutschen türkischer Herkunft alle auf dem gleichen Weg wie wir. In Niedersachsen scheinen die Schulferien angefangen zu haben. Also sind auf der Autobahn nach Serbien eigentlich nur deutsche Autos unterwegs. Auf dem Autobahnrastplatz wird also erstmal Chai gekocht, Wasserpfeife geraucht und besprochen ob man es bis morgen früh bis nach Istanbul schafft... (Wobei wir uns eigentlich schon verstecken müssen, da wir inzwischen schon seit Berlin schon mehr als 24 Stunden unterwegs sind...) Meistens fahren mehrere Familien gemeinsam die Strecke, sodass immer wieder Autokolonnen aus Hannover, Osnabrück, Salzgitter, Stade und Cuxhaven an uns vorbeiziehen. Man kommt sich vor, wie auf der A2 zwischen Braunschweig und Hannover. Wobei dieses Gefühl wahrscheinlich spätestens ab Istanbul, dem Reiseziel Nr.1, verschwinden wird. Die Großfamilie, die uns geweckt hat spricht aber arabisch und wird wohl bis an die syrische Grenze noch mehrere Tage brauchen. Man sieht sich in Mardin!

Donnerstag, 24. Juni 2010

Von Berlin bis Budapest

Der 23. Juni 2010: Unsere Reise beginnt. Wirklich? Wie in einer neuen Liebesbeziehung telefonierten Marco Polo und ich täglich, um uns abzusprechen, was noch zu tun sei. An diesem Mittwoch steht die Leitung kaum still: „Hast du daran gedacht...?“, „Warte noch, ich bekomme noch spontan Besuch von Freunden, die mich verabschieden wollen?“ Aber vor allem: „Nur kein Stress!“ Wir sind schließlich im Urlaub und nicht auf der Flucht. (Wobei ich mir da oft nicht ganz sicher bin...)
Wir mussten endlich los. Hatten wir doch schon öfters unsere Abreise verschieben müssen – wegen der endlosen Bürokratie, die damit verbunden war. Nun wurde der Zeitplan langsam eng. Vieles hätte man noch organisieren, vielen noch „Auf Wiedersehen!“ sagen können. Nein, wenn wir uns nicht aufmachten, würden wir uns während der Fahrt ständig hetzen müssen...
Eine Nacht lang Musik brennen für die Fahrt, einem letzten langen Blick in den E-Mail-Posteingang und das Organisieren meiner Zeit danach (nun ist endlich alles in Sack und Tüten!), nach einem letzten Zusammenräumen und Einräumen ins Auto geht es endlich los. Vorbei an der Stromstr. und noch in der Eisenacher vorbeigeschaut. Fußballspiel und anschließendes Feiern in Neukölln auf der Tanke miterlebt. Aber dann: endlich los.
Ich wache auf, auf einem Parkplatz hinter Prag. MP hatte tatsächlich noch einige Kilometer geschafft, nachdem ich auf dem Beifahrersitz eingedöst war. Zum Glück haben wir einen Dachaufbau, in dem ich gut schlafen kann. MP hatte nur leider einen schlechten Schlaf gehabt. Zum Frühstück fahren wir nach Brno (Gruß an Elke und Franz!) rein. Wunderbares Wetter, total sanierte Altstadt. Eigentlich schon zu schön... Wir sitzen auf einem Platz am Brunnen. Hier treffen sich Pärchen, aber auch Penner. Auf dem Platz ein Stand von „Save the Planet“ Tschechien – man merkt deutlich: wie sind in Europa. Wie lange noch?
Die Windschutzscheibe füllt sich langsam mit Autobahn-Vignetten. Wir kommen vorbei an Bratislava – können aber leider nicht jede Stadt auf dem Wege besichtigen. Eine Ausnahme müssen wir natürlich für Budapest machen. Ursprünglich wollten wir hier ein paar Tage Station machen, nun können wir sie kaum würdigen. Aber ein Spaziergang muss drin sein.
Schon bei der Ankunft werden wir von zwei jungen Damen freundlich gegrüßt. (Liegt das an uns oder an unserem großen Bus?) Neben Trabis und Porsche Cayennes in der Wesselènyi Straße geparkt. Schnell ein Parkticket gezogen – freundlicher Weise kostenlos, denn neben dem Ticket kommen auch die 50 Cent am Automaten wieder raus. Wir laufen durch breite Gassen und tiefe Häuserschluchten alter Gebäude, teils saniert, meist aber noch verfallen. Oft aber schon mit Videokamera dran, um den Besitz zu sichern. Es scheint, die kapitalistische Europäisierung hat in Budapest stärker zugeschlagen als in Prag. Hier treten die Konzerne gemeinsam mit Häusersanierungen und Mietpreiserhöhungen auf, während der Prozess in Prag etwas gradueller gelaufen zu sein scheint. Kein Wunder, dass viele Filme, die in Osteuropa (inkl. Ost-Berlin) spielen, hier gedreht werden... Und die Kulisse ist auch atemberaubend. Massive Bauten, oft noch im dreckigen grau-braun, zeugen von einer großen Vergangenheit. Doch im Gegensatz zu Wien hat diese Stadt auch eine interessante Gegenwart zu bieten. Auf einer Wiese, in einem Park, in dem auf einer Freiluftbühne gejazzt wird und Besucher mit Getränken versorgt werden, sitzen hunderte Jugendliche in kleinen Kreisen beisammen, unterhalten sich und manche machen auch Musik. Die Atmosphäre kenne ich so nicht aus Berlin – auch wenn MP sie mit der auf dem Kreuzberg vergleicht. Hier sind die meisten tatsächlich Ungarn – nicht Erasmus-Student_innen wie bei uns. Man merkt: es ist eine offene, freundliche, moderne Stadt, auf die aber noch einige Schrecken der gegenwärtigen Entwicklung zukommen.
Schweren Herzens (und in Gedanken an meine kürzlich Verflossene, die sich vielleicht in Budapest aufhält) und in voller Überzeugung wiederzukehren, laufen wir zurück zu unserem Bus. Auf dem Weg fällt uns auf, dass in unserer Abwesenheit noch weitere Parkkrallen an Nachbarautos angebracht wurden. Unser Puls rast, die Nervosität steigt: Werden auch wir festgekrallt sein? Und tatsächlich: Auch wir haben ein fieses, rotes Knöllchen an der Scheibe...
Ich fahre raus aus der Stadt. MP gibt bestens Anweisungen und sagt mir, welche Fehler ich beim Fahren mit dem Bus mache. Es macht wesentlich mehr Spaß, als ich erwartet hatte. Ist aber auch eine wesentlich größere Umstellung. Ich war seit der Grenze zur Slowakei gefahren – immer darauf achtend, 3000 U/min nicht zu überschreiten, wenig Beschleunigung zu haben und sich eher als LKW zu betrachten. D.h. nicht schneller als 100 km/h. In diesem Tempo fuhren wir Richtung Serbien. MP probierte weitere CDs aus. (Viele sind mit aussageschwangeren Titeln bezeichnet wie „CD 5“.) Auf dem letzten Parkplatz vor der Grenze kommen wir zur Ruhe. Campingtische, sanitäre Anlagen – alles da: wunderbar! Und: Gute Nacht! Morgen wollen wir es bis nach Istanbul schaffen. Na, ob das denn klappen wird?

Freitag, 18. Juni 2010

Retrospektive

irgendwann im April:

Ich laufe, die Kapuze tief ins Gesicht geschlagen, 700€ in der Tasche, abends um neun durch den dunklen Wedding. Nachdem sich der Frühling kurz präsentiert hat, schüttet es in Strömen und die funzelige Straßenbeleuchtung markiert die Pfützen auf der Straße nur spärlich und langsam zieht das Wasser von der Straße über meine Jeans in die Schuhe.
In einem spärlich gepflasterten zweiten Hinterhof übergebe ich völlig durchnässt das Geld den Automechanikern meines Vertrauens und steige endlich nach Monaten des Entzugs in meinen 20 Jahre alten VW T4. Schon der Geruch gibt mir ein angenehmes Gefühl von Vertrautheit. Ich drehe den Zündschlüssel, glühe vor und mit einem mir wohl bekannten Brummen springt der 60 PS Vierzylinderdiesel an. Zufrieden schiebe ich eine CD ein, fahre im Regen bei “Riders on the Storm” von den Doors nach Moabit zurück und lege mich glücklich schlafen in der Gewissheit, dass der erste Schritt einer langen Reise gemacht ist.