Donnerstag, 24. Juni 2010

Von Berlin bis Budapest

Der 23. Juni 2010: Unsere Reise beginnt. Wirklich? Wie in einer neuen Liebesbeziehung telefonierten Marco Polo und ich täglich, um uns abzusprechen, was noch zu tun sei. An diesem Mittwoch steht die Leitung kaum still: „Hast du daran gedacht...?“, „Warte noch, ich bekomme noch spontan Besuch von Freunden, die mich verabschieden wollen?“ Aber vor allem: „Nur kein Stress!“ Wir sind schließlich im Urlaub und nicht auf der Flucht. (Wobei ich mir da oft nicht ganz sicher bin...)
Wir mussten endlich los. Hatten wir doch schon öfters unsere Abreise verschieben müssen – wegen der endlosen Bürokratie, die damit verbunden war. Nun wurde der Zeitplan langsam eng. Vieles hätte man noch organisieren, vielen noch „Auf Wiedersehen!“ sagen können. Nein, wenn wir uns nicht aufmachten, würden wir uns während der Fahrt ständig hetzen müssen...
Eine Nacht lang Musik brennen für die Fahrt, einem letzten langen Blick in den E-Mail-Posteingang und das Organisieren meiner Zeit danach (nun ist endlich alles in Sack und Tüten!), nach einem letzten Zusammenräumen und Einräumen ins Auto geht es endlich los. Vorbei an der Stromstr. und noch in der Eisenacher vorbeigeschaut. Fußballspiel und anschließendes Feiern in Neukölln auf der Tanke miterlebt. Aber dann: endlich los.
Ich wache auf, auf einem Parkplatz hinter Prag. MP hatte tatsächlich noch einige Kilometer geschafft, nachdem ich auf dem Beifahrersitz eingedöst war. Zum Glück haben wir einen Dachaufbau, in dem ich gut schlafen kann. MP hatte nur leider einen schlechten Schlaf gehabt. Zum Frühstück fahren wir nach Brno (Gruß an Elke und Franz!) rein. Wunderbares Wetter, total sanierte Altstadt. Eigentlich schon zu schön... Wir sitzen auf einem Platz am Brunnen. Hier treffen sich Pärchen, aber auch Penner. Auf dem Platz ein Stand von „Save the Planet“ Tschechien – man merkt deutlich: wie sind in Europa. Wie lange noch?
Die Windschutzscheibe füllt sich langsam mit Autobahn-Vignetten. Wir kommen vorbei an Bratislava – können aber leider nicht jede Stadt auf dem Wege besichtigen. Eine Ausnahme müssen wir natürlich für Budapest machen. Ursprünglich wollten wir hier ein paar Tage Station machen, nun können wir sie kaum würdigen. Aber ein Spaziergang muss drin sein.
Schon bei der Ankunft werden wir von zwei jungen Damen freundlich gegrüßt. (Liegt das an uns oder an unserem großen Bus?) Neben Trabis und Porsche Cayennes in der Wesselènyi Straße geparkt. Schnell ein Parkticket gezogen – freundlicher Weise kostenlos, denn neben dem Ticket kommen auch die 50 Cent am Automaten wieder raus. Wir laufen durch breite Gassen und tiefe Häuserschluchten alter Gebäude, teils saniert, meist aber noch verfallen. Oft aber schon mit Videokamera dran, um den Besitz zu sichern. Es scheint, die kapitalistische Europäisierung hat in Budapest stärker zugeschlagen als in Prag. Hier treten die Konzerne gemeinsam mit Häusersanierungen und Mietpreiserhöhungen auf, während der Prozess in Prag etwas gradueller gelaufen zu sein scheint. Kein Wunder, dass viele Filme, die in Osteuropa (inkl. Ost-Berlin) spielen, hier gedreht werden... Und die Kulisse ist auch atemberaubend. Massive Bauten, oft noch im dreckigen grau-braun, zeugen von einer großen Vergangenheit. Doch im Gegensatz zu Wien hat diese Stadt auch eine interessante Gegenwart zu bieten. Auf einer Wiese, in einem Park, in dem auf einer Freiluftbühne gejazzt wird und Besucher mit Getränken versorgt werden, sitzen hunderte Jugendliche in kleinen Kreisen beisammen, unterhalten sich und manche machen auch Musik. Die Atmosphäre kenne ich so nicht aus Berlin – auch wenn MP sie mit der auf dem Kreuzberg vergleicht. Hier sind die meisten tatsächlich Ungarn – nicht Erasmus-Student_innen wie bei uns. Man merkt: es ist eine offene, freundliche, moderne Stadt, auf die aber noch einige Schrecken der gegenwärtigen Entwicklung zukommen.
Schweren Herzens (und in Gedanken an meine kürzlich Verflossene, die sich vielleicht in Budapest aufhält) und in voller Überzeugung wiederzukehren, laufen wir zurück zu unserem Bus. Auf dem Weg fällt uns auf, dass in unserer Abwesenheit noch weitere Parkkrallen an Nachbarautos angebracht wurden. Unser Puls rast, die Nervosität steigt: Werden auch wir festgekrallt sein? Und tatsächlich: Auch wir haben ein fieses, rotes Knöllchen an der Scheibe...
Ich fahre raus aus der Stadt. MP gibt bestens Anweisungen und sagt mir, welche Fehler ich beim Fahren mit dem Bus mache. Es macht wesentlich mehr Spaß, als ich erwartet hatte. Ist aber auch eine wesentlich größere Umstellung. Ich war seit der Grenze zur Slowakei gefahren – immer darauf achtend, 3000 U/min nicht zu überschreiten, wenig Beschleunigung zu haben und sich eher als LKW zu betrachten. D.h. nicht schneller als 100 km/h. In diesem Tempo fuhren wir Richtung Serbien. MP probierte weitere CDs aus. (Viele sind mit aussageschwangeren Titeln bezeichnet wie „CD 5“.) Auf dem letzten Parkplatz vor der Grenze kommen wir zur Ruhe. Campingtische, sanitäre Anlagen – alles da: wunderbar! Und: Gute Nacht! Morgen wollen wir es bis nach Istanbul schaffen. Na, ob das denn klappen wird?

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