Dienstag, 24. August 2010

Schnell nach Bishkek

Bishkek ist auf der Karte ca. 800km von der Grenze entfernt. Bis jetzt hat die Karte bei der Entfernung zuverlässig mindestens zehn, im Gebirge weitaus mehr Prozent weniger angezeigt. Also 900km?, 1000km? Wir wissen es nicht. Eigentlich wollten wir meinen morgigen Geburtstag in Bishkek feiern… Inzwischen aber geht es nur noch darum aus dem Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgistan herauszukommen. Nachdem wir gut in dem mit brennendem Yak-Dung erhitzten Zimmer neben dem Sohn der Familie geschlafen haben, stehen wir ein bisschen erholter auf.Der Blick aus der Tür zeigt uns eine weiße Bergwelt. Es ist kaum vorstellbar, dass man sich vor kurzem noch über geschmolzene Haribo und völlig verschwitztes Schlafen bei weit über 30Grad Gedanken gemacht hat. Der Schneefall lässt langsam nach und da weder die Familie, bei der wir geschlafen haben, uns weiterhelfen kann, noch irgendein Auto diese Straße zu benutzen scheint, mache ich mich ohne Gepäck, nur mit einer mit Schnee gefüllten Trinkflasche auf den Weg zur Kirgisischen Grenzstation um ein Auto zu finden, dass ND und das Gepäck vom Berg holen kann.Der Noodledude wartet inzwischen auf das nächste Auto, was vorbeikommt und versucht so mit dem Gepäck runter ins Tal zu kommen. Ich laufe schnellen Schrittes über den teilweise überspülten Weg los nach Unten zur kirgisischen Grenzstation. Die Landschaft ist wunderschön und es kommt sogar ein bisschen Freude bei mir auf, als ich darüber nachdenke, wie wir hierher gekommen sind. Ich freue mich den Pamir zu Fuß herabzusteigen und lache ein bisschen in mich hinein, als mir klar wird, wie wir vor zwei Monaten ohne Plan in Berlin gestartet sind, wie viele Dinge passiert sind, mit denen wir niemals gerechnet haben.
Nach ca. einer Stunde des Laufens höre ich einen Truck hinter mir. Ich drehe mich um und warte in freudiger Erwartung darauf, dass ND herausspringt und ich zur Grenzstation mitfahren kann. Die Truckfahrer schauen mich entgeistert an und fahren einfach weiter. Ich werde etwas sauer auf N.D. Was macht er da oben? Origami-Figuren bauen? Schneeballschlacht? Er sollte das nächste Auto anhalten. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, warum er nicht in diesem Truck saß.
Nach geschätzten zwei Stunden mündet mein Tal in ein gewaltiges anderes Tal und der erste Schnee in meiner Flasche wird zu Wasser. Die Straße ist inzwischen einigermaßen in Stand gesetzt und mir laufen zwei Backpacker entgegen. Die ersten Menschen, außer dem Truckfahrer und der Kirgisischen Familie, die mir begegnen. Wie sich rausstellt, zwei Franzosen, die gerade aus China kommen und mich vor den Taxifahrern in Sary-Tash warnen. Sie tragen jeder um die 15 Kilo und wollen im Niemandsland campieren, da ihr Visum für Tadschikistan erst am 25. beginnt. Ich wünsche ihnen einen schönen Grenzübertritt, warne sie vor der einen oder anderen Sache in Tadschikistan und lasse Grüße an ND ausrichten. Weiter geht es in Richtung Grenze und schon wieder überholt mich ein Truck ohne ND. Ich glaube inzwischen nicht mehr daran, dass ND irgendjemanden angehalten hat. In dem Moment, als ich die Grenzstation schon sehen kann und schätzungsweise nur noch wenige Kilometer von ihr entfernt bin, kommt die Erlösung. Ein Truck mit ND und dem gesamten Gepäck. Ich quetsche mich mit in das Fahrerhaus und bekomme sogleich von abenteuerlichen Verhandlungen über den Preis für die paar Kilometer zur Grenze berichtet. Der erste Truck wollte tatsächlich all unser Geld haben. Es gab ziemlich unverschämte Forderungen und erst der dritte hat sich auf einen einigermaßen angemessenen Preis eingelassen. Dabei hatten wir uns so auf Kirgistan gefreut. Aber wieder wird klar, man ist nur ein dummer Tourist, der besonders wenn er Hilfe einfach auszunehmen ist. Wir überlegen, ob wir uns irgendwie von den anderen Touristen distanzieren können, damit das nicht so weitergeht. „Wir arbeiten bei der GTZ und wollen nur mal auschecken ob es sich lohnt hier ein Projekt zu starten.“
Es geht es relativ unkompliziert durch die kirgisische Grenzstation. Ein Soldat lädt seine Kalschnikow direkt hinter mir durch, was mich kurz zusammenzucken lässt. Ansonsten keine weiteren Vorkommnisse. Der Truckfahrer bietet und an uns am nächsten Tag für unser letztes tadschikisches Geld nach Osh zu fahren. Wir haben aber genug und wollen eine warme Dusche. Also werden wir an dem Dorfplatz von Sary-Tash abgeladen und auf die Warnung der Franzosen hörend, verhandele ich sofort mit einer tadschikischen Familie, die eh nach Osh fährt. Man ist bereit uns für unser letztes tadschikisches Geld und 10$ nach Osh mitzunehmen. Das Auto ist ein Golf III. Die Familie besteht aus Vater, Mutter und den zwei Kindern. Mein Rucksack nimmt den Mittelsitz der Rückbank voll ein. Also sind wir zu sechst auf vier Plätzen. Nebenbei muss immer mal wieder ne blöde Grimasse für die Kinder gezogen werden damit sie aufhören zu quengeln.
Gegen Abend nach mehreren Pässen und diversen Problemen mit dem Auto kommen wir in Osh an. Schon vor der Stadt ist jedes zweite Haus ausgebrannt. Es gibt eine Militärkontrolle vor der Stadt und natürlich werden wir gleich angehalten. Wir kommen aus Deutschland. In Deutschland ist doch alles so sauber, warum sehen wir dann so verdreckt aus? Das kostet Straff! Wir haben keine Lust mehr auf Diskussionen und setzen uns gleich wieder ins Auto. Dafür muss dann der Fahrer büßen. Strafe, weil er einen Riss in der Windschutzscheibe hat…
Wir fahren weiter in das Zentrum von Osh und fühlen sogleich die bedrückte Stimmung, die über der Stadt liegt. Das usbekische Krankenhaus liegt in Schutt und Asche. Überall wehen Kirgisische Flaggen. Eigentlich haben wir uns die ganze Zeit vor allem nach den Strapazen in Tadschikistan auf Osh und eine warme Dusche gefreut, aber hier, wo es Leute gibt, die soooo mutig sind ein Krankenhaus anzuzünden, hält uns niemand. Also dorthin, wo die Taxen nach Bishkek abfahren. Wir werden wir sofort von mehreren Fahrern belagert. Die Kundschaft scheint rar. Da eine Verhandlung mit mindestens 10 Personen völlig ins Leere führt, hält ND 70$ hoch und fragt wer uns für diesen Preis nach Bishkek bringt. Der Preis scheint hoch zu sein, denn sofort werden wir in ein Taxi gesetzt. Als wir unserer gesamtes Gepäck eingeladen haben und im Auto sitzen, heißt es auf einmal 70$ pro Person. Wir sind nicht zu Späßen aufgelegt, was der Fahrer sofort merkt und uns alternativ den Preis von 80$ anbietet, wenn eine andere Person mitfährt. Aus der einen Person werden zwei und auf einmal sitzen wir zu fünft in den verschlissenen Polstern eines alten Mercedes. Überhaupt scheint es in Kirgistan nur deutsche Autos zu geben. Mercedes, VW und Audi sind die vorherrschenden Marken. Vermutlich ist Kirgistan das Land mit den meisten Prozent an deutschen Autos in der Welt (vor Deutschland!). Bevor wir losfahren, wird mir noch die schwangere Ehefrau des Fahrers vorgestellt.
ND hat ein paar Bier zum Anstoßen auf meinen Geburtstag besorgt, was dem dicken bereits angetrunkenen Soldaten natürlich sofort auffällt… So geht es dann durch die Nacht mit zwei nach Alkohol stinkenden Soldaten. Zum Glück schläft der eine, der zusammen mit uns auf der Rücksitzbank sitzt, bald ein und wir müssen nur noch das Gequatsche des Anderen ertragen, der überhaupt nicht verstehen kann, warum wir die Familienmitglieder von Angela Merkel nicht kennen. Man ist versucht zu sagen: „Das ist Demokratie, wenn man die Familie des Präsidenten nicht kennen muss.“ Um Zwölf flüstert mir ND die herzlichsten Glückwünsche ins Ohr, damit der dicke Soldat nicht aufwacht. An Schlafen ist nicht wirklich zu denken und so sind wir dann morgens in Bishkek. Besser gesagt kurz vor Bishkek. Der Fahrer hält am Bazar, der nicht wirklich im Zentrum ist und macht klar, dass er nicht gewillt ist uns weiter zu fahren. ND hilft ihm dabei einen kaputten Reifen zu wechseln. Als der Fahrer dann sagt, was er für die Tour bis zum Zentrum haben möchte, stellt ND ihm die Hilfe für den Reifenwechsel mit der gleichen Summe in Rechnung. Es wird diskutiert, bis der Fahrer einwilligt. Wahrscheinlich auch weil seine zweite Frau/Freundin (neben der schwangeren in Osh) inzwischen eingetroffen ist und eine noch längere Diskussion sehr unangenehm verlaufen währe. Wir erreichen das Sakura Guesthouse. Sehr zu meiner Freude gibt es keine Betten mehr im Mehrbettzimmer und wir landen im Doppelzimmer. Kurz noch ein „Lebenszeichen“ auf den Blog. Und dann meine größten Geburtstagsgeschenke: warm duschen und schlafen…

2 Kommentare:

  1. "...lache ein bisschen in mich hinein, als mir klar wird, wie wir vor zwei Monaten ohne Plan in Berlin gestartet sind. Wie viele Dinge passiert sind, mit denen wir niemals gerechnet haben."

    Großes Lob, sehr schön beschrieben! So geht es mir auch. Nach so einer Reise ist man nicht mehr ganz derselbe....

    Solche Torturen mit Taxis und Fahrern musste ich zum Glück nur selten über mich ergehen lassen.

    Traurig, das mit Osh. Aber touristisch sehenswert war der Ort auch vorher nicht. Ich mag das alles trotzdem irgendwie, wies da aussieht, und das beknackte Verhandeln mit Polizisten usw.

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  2. Danke für das Lob! Ja, das Verhandeln mit Polizisten ist im Nachhinein irgendwie lustig. Da ist Schauspieluntericht nichts dagegen...

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