Montag, 16. August 2010

Pannemir

Morgens extra früh aufgestanden, nachdem wir festgestellt haben, dass auf dem Pamirhighway für uns mit 60PS ohne Allrad nicht wirklich mehr als 23 Stundenkilometer Durchschnittsgeschwindigkeit drin sind.
Die Zeit wird knapp und wir bekommen langsam ein bisschen Druck. Also in der Hoffnung heute 250km schaffen und dann in einer Woche endlich in Bishkek anzukommen ein bisschen auf die Tube gedrückt. Immer nur kurz anhalten um das spannende Panorama nach Afghanistan genießen zu können. Neben dem Panorama verursacht noch etwas ganz anderes bei uns Spannung. Wir warten auf die Teeny-Engländer von der „Mongol-Rally“, die wir in Duschanbe gesehen haben. Unserer Einschätzung nach können sie es noch nicht weit geschafft haben. Wir sind der festen Überzeugung, sie bald am Straßenrand mit gebrochener Achse aufzufinden...
Vorbei an wunderschönen Dörfern auf Schwemmfächern gebaut, geht es Richtung Khorog. Die Straße wird besser und ist zeitweilig asphaltiert, sogar den dritten Gang kann man manchmal benutzen. Der Bus schafft zeitweilig sogar 50km/h. Leider wechselt sich der Asphalt immer mal wieder mit dicken Schlaglöchern oder Strecken ohne Asphalt ab. Genau so passiert es dann: Der immer zuverlässige und selbst mit halber Hinterachsfeder noch weiterfahrende 20 Jahre alte VW-Bus kracht auf den Schotter und kommt nach einem lauten Knall zum Stehen. Wir steigen aus und was wir dann zu sehen bekommen, sieht ziemlich ungesund aus: Das linke Vorderrad steht, während das Rechte geradeaus nach vorne zeigt, im 45° Winkel zur Fahrtrichtung. Schnelle Diagnose: Schraube unterhalb des Kugelgelenks im Spurstangenkopf gebrochen. Verdammte Scheiße! Das erste Auto hält sofort. Vier Tadschiken steigen aus dem Opel aus und sehen sich alles genauer an. Man verspricht uns wiederzukommen und bei der Reparatur zu helfen. Zentimeterweise versuchen wir das Auto  von der Mitte der Straße herunterzubekommen was sich mit dem verdrehten Vorderrad als ziemlich Kraft- und Nervenaufreibend herausstellt. 
Endlich sehen wir auch die Mongol-Kids aus England. Denen geht es nicht viel besser als uns. Die komplette Federung der Hinterachse ist zerstört und die Ambulanz schleift mehr oder weniger Richtung Khorog. Ich biete Hilfe an, aber sie scheinen aus Angst vor der einbrechenden Dunkelheit nicht allzu lange anhalten zu wollen. Dennoch gelingt uns bei der Gelegenheit ein Blick durch die kaputte Tür in den hinteren Teil des Wagens, der tatsächlich wie ein Teeny-Zimmer ausgeschmückt ist. Dazu noch ein paar Schweden die erstmal direkt neben die verwunderten Tadschiken an den Straßenrand pissen und mit ihren Hiphopersurferhosen auf halb acht die besten Botschafter der versnobten westlichen Mainstreamjugendkultur sind. Wir werden sie sicherlich noch öfter zu Gesicht bekommen... Inzwischen gesellt sich eine Tadschikische Familie im Lada dazu und hilft die Lenkstange abzubauen. Wir bedanken uns und helfen den Lada wieder anzuschieben. Danach zwischen lauter Mücken auf die vier Tadschiken warten, die versprochen haben wiederzukommen...
Nach zwei Stunden sind sie da und schlagen vor das Ganze zu schweißen. Ich sage, dass die Schweißnaht noch bis Bishkek halten muss. Ansonsten würde ich persönlich und zu Fuß zurückkommen und den Schweißer zur Rechenschaft ziehen „Ja, ja, kein Problem.“ Gesagt getan. Ich fahre mit den Jungs ins nächste Dorf und der Nudledude bleibt beim Auto. Im Dorf angekommen wasche ich mich erst an einer Quelle, dann drehe ich mich um und die schönste Frau seit Turkmenistan steht vor mir. Sie schenkt mir einen Apfel und ich bin im Paradies angekommen. Alles ist grün, der Bach plätschert, mir wird Essen serviert das Dorf kichert um mich herum, während Larissa (ja, so ist ihr Name) mir Aprikosen, Äpfel und andere verbotene Früchte anbietet. Wie der Zufall so will ist sie die Tochter des Dorf-Machanikers, spricht Englisch und sogar zwei Sätze Deutsch. Während ihr Vater das gebrochene Autoteil schweißt, bin ich hin und weg. Beinahe habe ich schon ein schlechtes Gewissen gegenüber dem ND, der beim Auto sitzt und wartet. Während ich dann so auf den Fleischstückchen, die mir serviert werden herumkaue, schweift mein Blick über den gedeckten Tisch auf den Teller von dem sie stammen. Ich traue meinen Augen nicht, sehe ich doch etwas dort herumkrabbeln. Ich kaue langsamer und staune nicht schlecht als ich lauter kleine weiße Maden in den Fleischstückchen auf dem Teller ausmache. Mir wird klar dass es da eine Verbindung zwischen dem Stückchen in meinem Mund und denen, die sich vor mir offenbaren, gibt. Was nun? Ausspucken wäre zutiefst unhöflich und wer weiß ob es jemanden anderes im Dorf gibt, der schweißen kann, wenn ich aufgrund meiner Unhöflichkeit rausgeschmissen werde. Also schön lange und genüsslich gekaut um auch wirklich jede Made zu erwischen, bevor man runterschluckt. Dannach esse ich nur noch die verbotenen Früchte und frage mich, ob die Maden gewollt waren, etwa zur Konservierung des Fleisches...
Langsam geht der Tag im Paradies zu ende und ich fahre zurück mit dem Vater, dem geschweißten Teil für den Bus und ohne seine Tochter zum Noodledude. Nicht aber ohne vorher noch ein Abschiedsfoto mit der fröhlichen Oma gemacht zu haben. Am Auto angekommen wird das Teil festgeschraubt und die Schweißnaht, die bis Bishkek halten sollte, bricht sofort ab.Also die Nacht im Auto mit wunderbarem Blick nach Afghanistan verbracht während der Mechaniker aus einem Ladaspurstangengelenk, von denen hier jeder Fahrer anscheinend ein ganzes Schlüsselbund mit sich herumträgt, und einer VW-Fassung versucht konzenrübergreifend ein Stück zu machen.

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