Donnerstag, 15. Juli 2010

Getrennte Wege - "downtown" und das Mausoleum des 'Imam' Khomeini

Heute sind Mahmud und seine Freundin zu Besuch. Ihre Beziehung wird gerade von Schwierigkeiten begleitet und da tut ein Besuch in der Oase gut, in der auch wir unterkommen dürfen. Sima und MP folgen Mahmuds Einladung, von ihm durch Teheran gefahren zu werden, während ich erst einmal zu Hause bleiben möchte, um weitere Blog-Einträge zu schreiben (!), bevor ich mich selber auf den Weg mache. Mein Ziel ist „downtown“ – einige kleine Straßenzüge südlich des großen Basars. Hier soll die Stimmung entspannter sein als im Rest der Stadt. Natürlich nehme ich die U-Bahn – mein geliebtes Fortbewegungsmittel und Sozialstudie. Ein paar Menschen fragen mich, woher ich käme. Dabei bleibt es meist aber auch. In „downtown“ angekommen, macht mir als erstes vor allem die Hitze zu schaffen. Der Himmel ist gelb und von Staub angefüllt.
Ich laufe durch die Gassen. Hier sind die Häuser höchstens zwei Stockwerke hoch und meist aus Ziegelsteinen und nicht aus Beton gebaut. Von den meisten Bewohnern, die ich treffe, werde ich verwundert angeschaut, kommt doch sonst kaum ein Tourist in diese Gegend... So laufe ich gewollt planlos umher, um die Atmosphäre einzufangen. Vorbei komme ich an einem Haus, das in schwarz gehüllt ist und offen steht. Den mit einem Foto versehenen Aushang neben der Tür interpretiere ich als Hinweis, dass dies das Haus eines vor kurzem Verstorbenen ist. Ich vage es aber nicht, ein Foto zu machen, noch in das Haus einzutreten und gehe die Gasse weiter entlang. Die Kinder, denen ich wenig später begegne, wollen ihr Englisch ausprobieren: „What's you name?“, „Where are you from?“, etc. Ein Jugendlicher versucht mir etwas Wichtiges auf Farsi mitteilen, ich verstehe ihn aber nicht und laufe getrost weiter. Wenig später habe ich verstanden, dass er mich auf die Tatsache aufmerksam machen wollte, dass es sich hierbei um eine Sackgasse handelt. Breit werde ich auf meinem Rückweg angegrinst und auch ich muss lachen. Da in dieser Gegend nichts los zu sein scheint und nahezu alle Läden geschlossen haben, beschieße ich, die wenige, mir vor Milads Rückkehr von der Arbeit bleibende Zeit zu nutzen, um noch einen anderen Ort zu besichtigen. Ich entscheide mich für das Mausoleum Khomeinis, dessen Besuch MP bereits abgelehnt hat. Dazu muss ich mit der Linie 1 (!) weiter Richtung Süden fahren, bis zu ihrem Endhaltebahnhof. Auf dem Weg bemerke ich, wie das Publikum immer einfacher wird, immer ärmer zu sein scheint. Der Vorort Rei bildet eine Ausnahme als eigene Ortschaft. Deutlich wird aber der Nord-Süd-Verlauf von reich zu arm, der Teheran umgekehrt ähnlich prägt wie der Verlauf von Zehlendorf nach Wedding.
Das Mausoleum nicht einfach nur eine Grabstätte weit vor den Toren der Stadt, sondern ein monumentales Bauwerk, das eine Moschee, Läden und anderes beherbergt. Derzeit wird offensichtlich renoviert und umgebaut. Dem Reiseführer ist zu entnehmen, dass ein ganzes Einkaufszentrum und eine Universität hinzukommen sollen. Mich beeindruckte der Gegensatz zwischen gülden anmutenden Minaretten, den Marmorplatten, die darauf warten, den Stahlskelett-Ziegel-Bau zu verkleiden und den dreckigen, von Neon-Röhren beleuchteten Klitschen, in denen es mal unhygieinsch erscheinendes Essen, mal Khomeini-Devotionalien zu kaufen gibt. Riesige Parkplatzflächen stehen geschätzten hunderttausenden Besuchern zur Verfügung und tatsächlich sind auch ein paar vor Ort. In Reisebussen kommen sie an – meiner Vermutung nach zumeist aus eher ländlichen Regionen des Landes. So spricht mich auch ein alter Mann, von körperlicher Arbeit gezeichnet und mit (palästinensischem) Kafiyeh auf dem Kopf auf Farsi an. Er hat ein ernstes, zuweilen zorniges Gesicht und mir scheint, an mir lässt er seine ganze Wut gegenüber dem Westen aus. Ich versuche ihm zu erklären, dass ich ihn leider nicht verstünde, bis ein junger Mann ihn auf selbiges hinweist und ihn weiterzerrt. Am Eingang zur Moschee, in dem der Gründer der Islamischen Republik beigesetzt liegt, sind Taschen und Schuhe abzugeben. Vor allem aber Fotoapparate, weswegen ich euch auch von diesem Eindruck leider keine Fotos präsentieren kann. Wie am Flughafen wird man durchleuchtet, bevor man den großen Gebetsraum betreten darf. Ungläubig und verblüfft werde ich von vielen angestarrt. Der Saal ist noch nicht fertig: Stahlsäulen tragen die Decke, eine Nische nach Mekka ist noch nicht eingerichtet und der Bereich, in dem noch gebaut wird, ist vom Rest durch eine provisorische Ziegelstein-Mauer abgetrennt. Wie in dem Heiligtum, welches wir im Norden der Stadt besucht haben, befindet sich auch hier der Sarkopharg in einem gläsernen Raum. Diesmal zwar mit weniger Verzierung aber dafür bestimmt doppelt so groß und mit viel mehr Geldbergen. Ich schaue mich um und entdecke nur einen einzigen Satz auf Englisch. Es ist ein Zitat des Ayatollah, das ungefähr so lautet: „We share the grief of all downthrodden and support all the oppressed people in the world.“ Anschließend erlaube ich mir noch einen kurzen Blick auf den in der Nähe liegenden Friedhof zu werfen, der in seinen Ausmaßen kaum zu erfassbar ist. Es sind einige Familien dort, die ihre verstorbenen Angehörigen besuchen, ihnen Koran-Suren vorlesen, das Grab mit Blumen schmücken, oder einfach nur trauern. Schnell begebe ich mich auf dem Rückweg, bin ich doch bereits zu spät dran, um zur verabredeten Zeit pünktlich zurück zu Hause zu sein, damit mich Milad abholt. Ich freue mich auf den Abend, ist es doch Donnerstag, zu dem sich die reicheren BewohnerInnen Teherans in jener Straße im Norden treffen, durch welche wir bereits gelaufen sind, um sich gemischt-geschlechtlich zu begegnen und die Nacht miteinander zu verbringen. In einer geschlossenen Gesellschaft wie dieser gibt es einige solcher inoffiziellen Orte, die dem Stillen bestimmter Bedürfnisse nach Freiheit dienen und den entsprechenden Zielgruppen bekannt sind.
Liebend gerne hätte ich diesem Schauspiel beigewohnt und beobachtet, wie unter solchen Bedingungen die Kommunikation funktioniert. Doch verläuft der Abend anders. Milad verspätet sich reichlich, was mich nicht weiter stört, kann ich doch seit langem mal wieder fernsehen. Bei seiner Ankunft klärt mich Milad auf, dass wir Freunde von ihm besuchen, wo Sima und MP bereits wären. Wir müssten nur ein wenig mit seinem Motorrad fahren. Ich also hinten rauf und los geht’s...
Teheran ist nicht klein. Und wenn etwas „in der Nähe“ ist, muss dem nicht notwendiger Weise nach Berliner Maßstäben so sein. Also fahren wir über die Stadtautobahn. Ungewohnt ungeschützt vor dem Verkehr bewegen wir uns im allgemeinen Zick-zack fort – völlig automatisch verkrampft mein Körper in seiner gebeugten Haltung auf dem Motorrad. Sehr freue ich mich über unsere heile Ankunft. In der großzügig geschnittenen Wohnküche haben bereits Sima, M.P., Mahmud, Arian und Sassan Platz genommen. Im Fernsehen läuft nebenher auf Viva ein Musikvideo mit leicht bekleideten Damen nach dem anderen. Mir wird gleich ein Bier angeboten, dass ich trotz meines Plans, auf der ganzen Reise abstinent zu bleiben, nicht ablehnen kann, ist mir mein Ruf als Biertrinker doch bereits vorausgeeilt. Ein Joint nach dem anderen macht die Runde und mein „Bier“ entpuppt sich als Bitburger alkoholfrei gemischt mit Iranischem Wodka. So wird an diesem Abend kein weiterer Drink folgen... :-(
Nachdem ich sicherstelle, dass kein weiterer Orts- oder Tätigkeitswechsel geplant ist, ergebe ich mich den vielen Gesprächen. Es geht um den Iran, um Deutschland, Weltpolitik und Fußball – eben alles, über das Menschen im selben Alter anderswo auch reden. Nur habe ich bei einigen der Anwesenden den Eindruck, dass sie das Leben unter den hiesigen Bedingungen krank macht – ähnlich einiger Freunde in Israel.
Wir bestellen „Sandwich“. Der Bote bringt die labbrigen Baguette-Imitate meistens gefüllt mit leckerem Salat und ätzend gummihafter Wurst. Nach dem Mal geht’s ans Kartenspielen. Wir spielen Mau-mau mit verschärften Regeln und ich fühle mich an so manchen UNO-Spielabend im WannseeFORUM erinnert.
Im Laufe der Nacht werden immer wieder neue Regeln erfunden, auf drei Sprachen erklärt und unser Farsi macht Fortschritte. („Kreuz“ im Kartenspiel heißt z.B. „geschnis“.) Und so folgt Runde auf Runde, Cola auf Cola – und das auch noch Stunden nachdem Sima und Milad bereits nach Hause gefahren sind. Erst gegen halb drei machen auch wir uns auf den Weg indem Mahmud uns nach Hause fährt. Dabei vermeidet er die Hauptstraßen aus Angst vor Alkohol-Kontrollen der Basijis.
Zu Hause angekommen verabschieden wir uns herzlich und sagen, wir bleiben über Facebook in Kontakt. Kaum fällt die Wohnungstür hinter uns ins Schloss, fallen MP die Rucksäcke in seiner Hand und auf meinem Rücken auf. Er hatte seinen nicht dabei gehabt und ging fälschlich davon aus, dass der, der auf der Rückbank neben ihm lag meiner wäre. Also spurtet er hoch, um Mahmud seine Tasche wiederzugeben, doch der war längst weitergefahren. Von einem schlechten Gewissen geplagt, kann MP kaum einschlafen während ich alsbald ins Land der Träume entschwinde.

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