Sonntag, 4. Juli 2010

Mardin

Bisher war es so, dass ich unter allen Umständen gut schlafen konnte und MP eher Probleme hatte. Doch diese Nacht war ich derjenige, der aufwachte. Es ist heiß. Auch nachts. Und kein Lüftchen geht. Das schlaucht ziemlich und so verabreden wir uns zum Frühstücken in dem deluxe-Rasthof, in dem wir gestern jeweils zwei Tees ausgegeben bekommen haben: eine Scheibe Wurst, eine Scheibe Gouda o.ä. Und eine Feta. Dazu Tomaten, Gurken und Oliven – und, ta ta ta ta!!, ein Ei. Der Chef staucht seine Mitarbeiter zusammen, um es uns noch rechter zu machen, als es eh schon ist.
Wir kühlen uns beim duschen ab und fahren los. Durch die heißen, trockenen Weiten. Wie alles andere auch, bewegen wir uns oft im Schneckentempo über die kleineren Bergkämme, hinter denen sich jedes Mal wieder eine neue Ebene erstreckt, die manchmal zu trocken ist, um hier noch etwas dem Boden abzuringen.
Der Straßen- und Häuserbau in den Orten, durch die wir kommen, lässt uns vermuten, dass es einen wirtschaftlichen Aufschwung zu geben scheint. Vielleicht ja aufgrund etwaigen Drucks seitens der EU, die Kurden nicht mehr so stark zu vernachlässigen. Doch in den Orten kurz vor Mardin wird die Strukturschwäche dieser Gegend deutlich. Es gibt versteckte Stadtzentren zwar, aber die meisten Läden, Werkstätten, etc. befinden sich direkt an der Hauptstraße. Zumeist reichlich zurück versetzt – davor der bloße, staubige Boden. Bürgersteige wurden erst kürzlich angelegt – oft viel zu hoch und nicht den Bedürfnissen der Menschen entsprechend. Vieles erinnert mich an palästinensische Siedlungen.
Mardin ist eine Stadt, die weit bekannt ist. Sie zählt sicherlich zu den größten in Ost-Anatolien, wurde aber vor allem von vielen Leuten, die wir getroffen haben als besonders schön gelobt. Wenn man in die Stadt, wie wir, von Süden her reinkommt, muss man zunächst die Neustadt passieren. Danach führt die Straße steil bergauf und erst nun offenbart sich die Besonderheit der Stadt: Sie ist auf einem schroffen Berg zu Füßen einer alten Burg errichtet. Hier werden die Straßen schmaler, Häuser, Boden und Felsen verschmelzen in verschiedenen Schattierungen von Sandfarben. Noch einmal wird deutlich: Wir sind nicht mehr in der Westtürkei – dies ist Arabien. Die Stimmung ist komisch – Spannung scheint in der Luft zu liegen. Wir treffen noch einmal weniger Touristen als in Urfa und stellen eine umso größere Attraktion dar. Diesmal fühlen wir uns allerdings weniger als interessant denn suspekt wahrgenommen.
Nach einem Tee bei einem wunderbaren Blick auf die syrische Grenze ergibt es sich beim Schländern durch die Gassen, dass wir uns zum Aufstieg zur Burg begeben. (Es sei noch einmal hervorgehoben, dass sich die Temperatur in der Sonne um die 55 Grad bewegt.) Der Blick über die Stadt wird immer atemberaubender, wir treffen türkische Touristen, doch zur Burg schaffen wir es nicht. Ein Anwohner erklärt uns, dass sie von der türkischen Armee besetzt wird – was auch die überdimensionierte Flagge und die Lichterketten in Atatürks Profil auf der Burgmauer erklären. Sie mahnen, wem dieses Land gehört. Wir rutschen den Berg wieder runter und gehen in ein Internet-Café. Es gab bereits Beschwerden, dass wir so selten berichteten und die Abkühlung am Rechner vor dem Ventilator sind gute Argumente, dort die folgenden sechs (!) Stunden zu verbringen. Zeitweise bricht die Verbindung ab und nach Einbruch der Dunkelheit kommen Stromschwankungen hinzu, die von den Betreibern kurzerhand in Ordnung gebracht werden, während der Betrieb und der Strom durch die Leitungen läuft, an welchen herumgeschnitten wird...
Froh über und gleichzeitig genervt von dem geschafften Berichten, essen wir zu Abend auf dem Atatürk-Platz, wo unser Auto steht. Sofort kommt der Parkplatzaufseher an und will noch einmal Geld haben, da wir ja offensichtlich über Nacht blieben. Einmal mehr scheinen wir in dieser Stadt über den Tisch gezogen zu werden, so dass uns hier nur noch die Aussicht hält, den Freund von Sonar zu treffen, von dem er uns berichtet hatte. Sehr zu unserer Verblüffung stellen wir fest, gar nicht dessen Nummer bekommen zu haben.
Um weiteren nervigen Situationen aus dem Weg zu gehen, fahren wir aus der Stadt. Bei einem Blick zurück offenbart sich wieder die Schönheit dieser Stadt und wir machen ein Foto von dem Lichterhügel. Wir fahren zurück zur Europastraße, über der der Regionalhandel zwischen der Türkei, Syrien, Irak und Iran abgewickelt wird, und die die Nachfolge der Seidenstraße antritt, indem hier LKWs bis nach Zentralasien fahren. Die Grenze nach Syrien zum Greifen nah und eine Lichterkette auf der anderen Seite, die eine Kleinstadt verrät.
Neben der alten Straße wurde eine zweite gebaut, so dass es nun vier Spuren gibt, die von einem Streifen verdorrten Grases in der Mitte getrennt werden. Sie wird auch nachts noch stark beansprucht von den vielen LKWs und durch die Kolonne an Tanklastwagen, die vor uns fährt. Bei einem Überholmanöver wird klar, dass sich die offensichtliche Existenz der neuen Straße noch nicht rumgesprochen hat – denn ein Wagen kommt uns entgegen. Mit einem Schrecken kommen wir davon. Eine ordentliche Ausschilderung fehlt und die Benutzung der neuen Straße wurde von uns zu eindeutig interpretiert – uns bleibt, in Zukunft mit noch größerer, struktureller Unsicherheit zu rechnen.

Wir halten wieder auf einem Rastplatz zwischen Truckern und legen uns direkt schlafen.

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